YEASTY TALES

Tour-Tagebuch

Teil 1: 

Sein oder nicht sein

Liebe Lokalband,

es gibt einen Moment in deinem Leben, an dem du dich entscheiden musst.

Bleibst du daheim, behütet von den eigenen vier Wänden, gewärmt von Friends und Fans, die zu jedem deiner Konzerte kommen, die deine Refrains mitsingen und am genau richtigen Zeitpunkt den Kreis öffnen, um sich zum Sound deiner Gitarre gegen die verschwitzten Körper der anderen zu werfen?

Oder gehst du raus, in die fröstelnde Kälte fremder Städte? Wo kaum ein Hahn nach dir kräht. Wo Menschen mit „Yeast Machine“ eine heferührende Konditoreiapparatur assoziieren. Und wo niemand deine Refrains mitsingt.

Wofür entscheidest du dich?

Wir – Fabi, Tobi, Jonas, Marcel und ich, Benni – sind diese eben beschriebene heferührende Konditoreiapparatur und wir haben uns für den zweiten Weg entschieden. Unsere Band heißt Yeast Machine und unsere vier Wände – das ist Tübingen. Letztes Jahr haben wir hier alles gespielt, was nicht bei Drei „Corona-Beschränkungen“ sagen konnte. Sogar in den großen Saal des Sudhauses haben sie uns gelassen – dank Superstar Grandson, der uns bei unserem dritten Konzert Tausend seiner Fans für eine halbe Stunde überließ. Grüße gehen raus nach Nordamerika. Vielleicht hat er ja noch unser Shirt im Schrank, das wir ihm in Fanboy-Manier über den Wäscheständer gehängt haben.

Wir können uns wirklich nicht beschweren, wie das hier gelaufen ist mit uns, Tübingen. Aber dann klopft so ein Gefühl an, das einen zappelig werden lässt. Das Gefühl, dass es auch da draußen Menschen geben könnte, die unsere Musik mögen und die ihre Körper zu unserem Gitarrensound gegeneinander werfen wollen. Und nach dem Gefühl kommen die Fragen: Wie lang können wir in einer Stadt spielen, bis uns niemand mehr hören will? Wie viel Spaß macht es, immer auf den gleichen Festen zu tanzen? Und vor allem: Wie gut sind wir wirklich?

Nicht, dass wir nicht schon wo anders gespielt hätten: Stuttgart, Freiburg, Ulm und sogar bis nach Wien und Mecklenburg-Vorpommern haben wir es geschafft. Trotzdem fühlen wir uns lokal. Mehr als ein Fünftel unserer Instagram-Followerinnen und Follower wohnen in Tübingen, über 10 Konzerte haben wir hier gespielt und natürlich lieben wir unsere Stadt. Aber: Wir müssen raus! Wir müssen auf die Straße! Wir müssen auf Tour!

6 Städte in 9 Tagen sollen es sein. Dortmund, Bielefeld, Köln, Saarbrücken, Luzern, Freiburg – wir kommen. Mit Euphorie im Bauch und ambivalenten Erwartungen im Kopf machen wir uns auf den Weg. Und wieder stellen wir uns Fragen: Kommt jemand auf die Konzerte? Kriegen wir die Kosten wieder rein? Und was ist, wenn keiner uns mag? Sein oder nicht sein, liebe Lokalband.

Egal, was passiert, ihr werdet es erfahren. Denn heute startet unser Tourtagebuch „Yeasty Tales“. Hier halten wir euch auf dem Laufenden und ihr könnt mit dabei sein – auf der ersten Tour unseres Lebens.

Teil 2: 

Es war einmal..

Foto: Maxine Schneider

.. eine Band, die machte sich auf den langen und beschwerlichen Weg durch das ganze Land, um sich in die Herzen der Menschen zu spielen. Die Band heißt Yeast Machine. Und das heutige Tour-Märchen handelt vom Herzen der Dortmunder, in die wir uns spielen wollen.

Der Empfang im Ruhrpott ist königlich. Vom Tourbus in die Konzertlocation sind es nur sechs Meter, die aber ausreichen, um uns im Dortmunder Regen zu ertränken. Wie gestrandete Matrosen stehen wir nun im Eingang der subrosa Hafenschänke, die genau so aussieht wie sie klingt. Das Wetter und die mutmachenden Worte des Bar-Angestellten verheißen Großes: „Live-Musik geht derzeit gar nicht mehr. Vor ein paar Jahren haben wir 28 Konzerte an 30 Tagen gemacht aber heute..“ – ich höre ihm schon nicht mehr zu. Mit dem Ausblick auf ein Konzert vor fünf betrunkenen Seeleuten gehen wir in den Abend und werden überrascht.

Die fünf Seeleute an der Theke sind zwar auch da, aber neben ihnen Rockfans aus dem ganzen Kiez, die für uns und die grandiosen Black Tamponxx – feinster FLINTA Stoner Punk aus dem Pott –gekommen sind.

Auf einer Bühne, die etwa so groß ist wie eine Tübinger Studierenden-WG-Küche, stehen wir uns gelegentlich auf den Füßen. Am Ende muss die bis zum letzten Zentimeter gefüllte Hafenschänke aber erst mal gut ausgelüftet werden. Schweiß und verbrauchter Sauerstoff – so lieben wir es. Dortmund, wir kommen wieder!

Teil 3:

Im Diva Heaven

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Foto: Maxine Schneider

Band sein heißt Fan sein. Wir alle beginnen damit, ein Instrument in die Hand zu nehmen, mit Freunden oder Freundinnen einen Proberaum zu suchen und gemeinsam eigene Melodien zu entdecken, weil wir Fan sind. Weil wir Vorbilder brauchen, die wir bewundern und die uns vormachen, wie es geht.

Heute dürfen wir beides – Band sein und Fan sein. Die Berlinerinnen 24/7 DIVA HEAVEN spielen in Bielefeld, und nach zahlreichen Versuchen, sie zu einem gemeinsamen Konzert zu überreden, haben wir unser Ziel erreicht. Ganze 40 Minuten dürfen wir auf IHRER Bühne stehen, über IHR Schlagzeug spielen und IHR Publikum auf die große Party vorbereiten, die der Abend werden soll.

Gestern waren die drei Divas im WDR im Rahmen des legendären Rockpalasts aufgetreten und schwere Fernsehkameras waren auf sie gerichtet. Heute müssen sie sich mit einer kleinen Tübinger Band die ebenfalls kleine Bühne teilen und sie geben uns das Gefühl, dass Bielefeld nicht weniger wichtig ist als der Rockpalast – Vorbilder halt.

Im dichten Bühnennebel geben wir, was wir können, und ich finde, wir machen unsere Sache gut. Am Ende bekommen wir noch unser Fan-Bild im Backstage und sind damit in unserem Diva Heaven angekommen.

Nächster Stopp: Köln.

Teil 4: 

Die Sache mit dem Geld

Foto: Maxine Schneider

Hallo Köln. Hallo Großstadt.

Mit Glänzen in den Augen und Kölner Folkore aus dem Auto-Radio fahren wir an den zwei weltberühmten Türmen des Doms vorbei und freuen uns auf den dritten Abend Rock’n’Roll in Folge. Auf dem Plakat vor dem Club stehen heute Carbon Twin und The Red Flags aus Köln und wir – Yeast Machine aus Tübingen – die erst einmal 350 € hinblättern müssen.

Clubmiete oder auch „Pay to Play“ heißt das wunderbare Prinzip, das den Clubs finanzielle Sicherheit bietet und kleine Bands auf ihrer ersten Tour in den Ruin treibt. In Metropolen wie Hamburg, Berlin und leider auch in Köln sind Clubmieten mittlerweile Standard. Uns bereiten sie in erster Linie Sorgen. Denn mit 10 Euro Eintritt verdienen wir ungefähr ab dem 40. Ticket – vorausgesetzt wir streichen Sprit und Übernachtung aus der Rechnung.

Ruhe tritt bei uns daher erst ein paar Stunden vor dem Konzert ein, als der Vorverkauf die knapp 50 Tickets erreicht. Ab jetzt zählt nur noch die Musik. Nachdem wir uns bei Carbon Twin und The Red Flags warm getanzt haben, betreten wir aufgeheizt die Bühne und holen nochmal den letzten Rest Energie aus den drei ersten Tourtagen.

Köln gehört heute Nacht uns.

Und morgen: Pause.

Teil 5:

Männermusik

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Foto: Maxine Schneider

Der Yeast-Machine-Zug macht Pause. Nach drei Konzerten in drei Tagen haben wir uns das verdient und außerdem schreien unsere Körper nach Müßiggang. Drummer Jonas kommt wegen Erkältung zwei Tage nicht mehr von der Luftmatratze und unser Mischer Carlo, der uns bis dahin begleitet hat, muss die Tour sogar krank abbrechen. Ab mit der Bahn zurück nach Tübingen.

One Man Down also – bleiben noch fünf Männer plus Fotografin Maxi. Ein guter Zeitpunkt, unsere Konstellation einmal kritisch auseinander zu nehmen. Denn so wie die Musik, die wir machen, bedient sich auch die Männer-Rate in unserer Band an den 90er-Jahren.

Wir sind also nicht divers. Und der Rest der Branche? Der ist es auch noch lange nicht, obwohl sich sehr langsam etwas bewegt. Beim diesjährigen Rock am Ring wurde die Anzahl der Acts mit mindestens einem FLINTA-Mitglied verdoppelt. Die Messlatte von 2022 (8 Acts) war aber auch nicht allzu hoch gewesen.

Anders als Rock am Ring war unsere Tour bis zu diesem Zeitpunkt nahezu divers. 15 Musiker und 12 Musikerinnen zählten die Lineups in Dortmund, Bielefeld und Köln in Summe. Vorneweg 24/7 DIVA HEAVEN als Aushängeschild des neuen Grunge & Alternative – The Red Flags und Black Tamponxx als Zwei die zeigen, wie die Rockwelt von morgen aussehen kann.

Bei uns geht morgen die Tour weiter – Saarbrücken, Luzern, Freiburg – dann wieder wie gewohnt mit drei Männerbands.

Teil 6:

Fußballwunder
vs.
Rock ’n‘ Roll

Foto: Maxine Schneider

Wenn irgendein Fußballclub irgendeinen anderen schlägt, ist das normalerweise eine Meldung im Sportteil wert. Wenn aber der kleine FC Saarbrücken den großen FC Bayern im DFB-Pokal besiegt, dann geht das alle an. Auch uns, die gerade in Saarbrücken einfahren und eine Stadt vorfinden, in der heute mehr Katerstimmung als Freudentaumel das Stadtbild prägt.

Im Saarbrücker Club mit dem klangvollen Namen Horst steht heute Abend Yeast Machine auf dem Programm. Yeast Machine – das sind wir – Tübinger Band auf erster Tour und nach der kleinen Spielpause voller Tatendrang, eine weitere Bühne abzubrennen. Southern Caravan Breath heißt unser Local Support und sie begrüßen das wegen Fußballwunder und Donnerstagabend ausgedünnte Publikum mit einem wenig energischen „Ich hasse Fußball“.

Die Stimmung bei den Anwesenden ist fantastisch. Ein bisschen Energie ist wohl doch noch übrig vom Vortrag und trotzdem will sich der Laden auch bei unserem Konzert nicht so richtig füllen. Wir nehmen es sportlich und spielen uns die Seele aus dem Leib. Zurück im Backstage höre ich unsere eben noch Fußball-hassende Support-Band über das gestrige Spiel reden. Schon okay, denk ich mir. Hauptsache die Bayern sind raus.

Nächster Stopp: Luzern in der Schweiz.

Teil 7:

„Das schläckt der kei Geiss wägg“

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Foto: Maxine Schneider

Der Pilatus ruft. Luzern. Schweiz. Yeast Machine – kleine Band aus Tübingen – goes international. Wir sind aufgeregt wie noch nie, denn Alpenpanorama bedeutet auch Zollkontrolle und wir haben gerade 100 Shirts produziert, mit deren Verkauf wir unsere ganze Reise finanzieren. Kat von 24/7 DIVA HEAVEN hatte uns in Bielefeld Horrorstories von horrenden Strafzahlungen für unverzollten Bandmerch erzählt.

Also kein Risiko eingehen, Zwischenstopp in Freiburg, den Großteil der Shirts bei einer Freundin abladen, das restliche Kontingent in drei Schichten übereinander ziehen und weiter geht’s. Als wir uns der Grenze nähern, fühlt es sich in unserem weißen Ford Transit so an, als stünde in großen Lettern „Kontrollier mich“ auf der Motorhaube. Der Zoll-Beamte steht schon bereit, hebt seine Hand und – zieht den Wagen vor uns raus.

Nochmal Glück gehabt, denken wir uns. Hoffentlich kaufen die Menschen jetzt auch das Zeug. Luzern ist wunderschön, die Luzerner sehr freundlich und das Nachtleben – tot. Es ist Freitagabend und kaum jemand verläuft sich ins Bruch Brothers, wo wir heute spielen. Trotzdem bekommen wir am Ende das wohl größte Kompliment, das man in der Schweiz bekommen kann: „Das schläckt der kei Geiss wägg“. Wir verstehen auch am nächsten Morgen die Bedeutung noch nicht so ganz, aber wir nehmen es als Kompliment.

Nächster Halt: Freiburg.

Teil 8:

Das Schönste am Wegfahren..

Foto: Maxine Schneider

.. ist das Heimkommen, hat der Vater eines Freundes mal gesagt. Ich mochte den Spruch nie. Denn ich liebe es zu reisen, neue Orte zu entdecken und neue Menschen kennenzulernen. Allerdings war ich auch noch nie auf Tour. Und jetzt, wo sich die Tour unserer Band Yeast Machine dem Ende neigt, verstehe ich den Satz ein bisschen mehr. Krankheitsgeplagt und müde vom ständigen Ortswechsel, freue ich mich darauf, wieder das Schild „Universitätsstadt Tübingen“ zu passieren und meinen Stimmbändern endlich eine Ruhepause gönnen zu dürfen.

Nur ein letztes Mal müssen sie noch ran. Für das Tour-Finale sind wir in Freiburg, und wenn sich Tübingen und Freiburg wirklich so ähnlich sind, muss das Konzert ein Fest werden. Mit mehr als 70 Anmeldungen ist Dave’s Vintage Dream, ein charmanter Vintage-Kleiderladen, bis unters Dach ausgebucht und als die ersten Menschentrauben den Gewölbekeller betreten, ist die Müdigkeit von sechs Konzerten vollständig verfolgen.

Der eben noch winterlich-kühle Raum ist schon nach den ersten fünf Minuten unseres Sets viele Grad wärmer und gleicht nunmehr einer Tropfsteinhöhle. Mit der Aussicht auf morgiges Dolcefarniente tanzen, schreien, trommeln und springen wir im Kreis bis der letzte Ton unserer Tour verhallt.

Danke Freiburg, Luzern, Saarbrücken, Köln, Bielefeld und Dortmund. Der Vorhang schließt sich. Wir sind wieder daheim.

Bis dahin, eure Yeasties.

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